Judenfeindschaft auf Facebook – Gelebter Antisemitismus, seine Vorurteile und die geglaubten Mythen

Schön, dass fisch+fleisch die Artikel der einzelnen Blogger auch immer auf Facebook publiziert, sonst hätte ich wohl kaum die Chance gehabt auf die zahlreichen Perlen aus Deutschland und auch Österreich zum Thema Antisemitismus und Judenhass eingehen zu können. Die gesammelten Beiträge der Facebook-Kommentatoren sind zu zwei Artikeln von mir, die im laufe der Woche auch auf fisch+fleisch und auf deren Facebook-Präsens erschienen sind und zahlreich kommentiert wurden.

Der Artikel »Bist du doch selbst schuld!« – Antisemitismus ein Selbstverschulden der Juden?  behandelt den gegen Juden oft erhobenen stereotypen Vorwurf, dass diese am Antisemitismus »ja selbst schuld seien«, die Facebook-Kommentare machten schlussendlich deutlich, dass die im Artikel vertretende Meinung, dass man Juden immer wieder eine eigene Schuld unterschieben will, leider zutreffend ist.

Mein zweiter Artikel »Bete, Jude!« – Die Geschichte von Rabbi Hagerman handelt von dem Rabbiner Moshe Yitzhak Hagerman, der in einem polnischen Dorf von deutschen Nazis misshandelt und anschließend öffentlich zum Gebet gezwungen wurde, um ihn verhöhnen zu können. Auf diesen Artikel gab es zahlreiche Reaktionen, die vor allem zeigten, wie offen deutsche Facebook-User antisemitische Stereotypen und lupenreinen Judenhass verbreiten.

Natürlich gab es in den Facebook-Diskussionen zu meinen Artikeln auch User, die sich offen gegen den dort verbreiteten Antisemitismus stark machten, diese stellten aber leider doch eher die kleinere Gruppe. Im Verlauf dieses Essays werde ich auf jeweils drei Facebook-Reaktionen zu meinen beiden Artikeln eingehen.

 

»Bist du doch selbst schuld!« – Antisemitismus ein Selbstverschulden der Juden?  

 

  1. Barbara

Barbara

Barbara springt mit ihrem Argument, dass »der Antisemitismus von einer ganz anderen Seite kommt«, nämlich von den »Migranten, die den Antisemitismus mit der Muttermilch aufgesogen haben.«, auf den Zug der Rechtspopulisten auf. Vor allem die angeblichen »Philosemiten« innerhalb der AfD, FPÖ und anderen bekannten Parteien, behaupten gerne, dass der »moderne Antisemitismus« (hat sich Judenhass denn wirklich »modernisiert«?) ausschließlich von Muslimen und ihren linken Helfershelfern ausginge.

Auf den berechtigten Hinweis, dass Antisemitismus auch immer noch in der deutschen Gesellschaft vorhanden ist, reagieren Rechtspopulisten meist identisch, wie die gute Barbara auch, nämlich mit einer patzigen Standardreaktion:

»Ich finde es nicht fair, den schwarzen Peter nur der deutschen Bevölkerung zuzuschieben«. 

Nein, niemand schiebt den »schwarzen Peter« nur der deutschen Bevölkerung zu, aber auch wenn es unter radikalen und vor allem jungen Muslimen einen ausgeprägten Antisemitismus gibt, heißt das nicht, dass man die deutschen Antisemiten, die es sich vor allem in der Mitte der Gesellschaft kuschelig gemacht haben, ignorieren kann.

 

  1. Bernd

Bernd

»„Antisemitismus ein Selbstverschulden der Juden“? Wenn man sich die Aktivitäten von einigen prominenten Juden in der Welt anschaut, liegt das durchaus im Bereich des Möglichen.«, 

die antisemitische Geisteshaltung ist bei dem User Bernd ziemlich deutlich erkennbar, dabei macht er sich kaum Mühe seine Vorurteile zu verbergen.

»Davon abgesehen kann die Unbeliebtheit der Juden bei den Assyrern, den Ägyptern, den Römern bis hin zu den Deutschen wohl kaum in jedem Fall an einer Intoleranz der unterwanderten Völker gelegen haben.«, 

er unterstellt Juden, dass diese andere Völker sogar »unterwandern« würden und nutzt damit eines der beliebtesten antisemitischen Stereotypen des Nationalsozialismus.

Die Nazis waren der Meinung, dass Juden sich wie »Schädlinge« (Juden wurden in der NS-Propaganda meist mit »Ratten« verglichen) in einer Gesellschaft einnisten, aus dieser partizipieren und anschließend das »unterwanderte Volk« in den Untergang reißen würden. Bernd versucht Juden als schädliche Schmarotzer zu diffamieren und dieses unterstellte Verhalten als Grund für Antisemitismus zu deuten.

 

  1. Heinz:

Heinz

Der User Heinz fährt eine ganze Palette von antisemitischen Klischees und Stereotypen über Juden auf, die letztendlich nur belegen, wie stark er in seiner antisemitischen Haltung gefangen ist.

»Die gesamte Film Industrie die sich in jüdischer Hand befindet und einige Groß Bankiers wie Goldman Sachs , Rothschild usw…«,

natürlich dürfen in einem klassischen antisemitischen Kommentar die »Hauptübeltäter« nicht fehlen, nämlich jüdische Großfinanciers, jüdische Banker und Bankunternehmen und schließlich die gesamte amerikanische Film-Industrie.

Sie alle spielen für Antisemiten die entscheidende Rolle für eine allumfassende sogenannte »jüdische Weltverschwörung«. Diese verschwörungstheoretische Idee von einer »jüdischen Clique« wurde in Deutschland unter Hitler und seine Schergen zu einer der beliebtesten antisemitischen Aussagen im Repertoire des NS-Antisemitismus.

»…sowie die ständigen finanziellen Forderungen der wieder Gutmachung der Verbrechen der Nazi`s an Generationen die zu dieser Zeit noch nicht geboren waren sowie der Versuch des ständigen Schüren des schlechten Gewissen´s sowie die Anektion des heute ehemaligen Palestinensergebietes, die Siedlerpolitik die heute betrieben wird , das alles macht die jüdische Bevölkerung – oder ihre Politiker – nicht gerade beliebter.«,

das immer wieder bei Antisemiten vorkommende Argument der »finanziellen Forderung der Wiedergutmachung« nach der Shoah wird oft auch damit verknüpft, dass Juden bzw. Israel das heutige Deutschland mit seiner eigenen Geschichte »unter Druck setzt«, um so finanzielle Mittel »zu erpressen«. Dadurch versucht man Juden als skrupellos zu diffamieren, da sie ja angeblich mit ihren Opfern Profit schlagen wollen. Auch der Nahostkonflikt ist für Antisemiten der ausschlaggebende Garant dafür, warum Juden am Antisemitismus »selbst schuld« sind. Eine objektive Betrachtung der geopolitischen Entwicklungen in Nahost werden von Antisemiten meist gar nicht beachtet, da dadurch das Bild von den »bösen Juden« und den »armen Palästinensern« als klischeehafte Vereinfachung des Nahostkonflikts enttarnt wird.

»Ich kann verstehen dass man den Holocaust nicht vergessen kann und soll, aber die neue Generation sollte doch einen anderen Zugang zu ihrer Geschichte haben und nicht andere Völker als Nazi`s bezeichnen.«

Niemand bezeichnet »andere Völker« als Nazis, auch wird das heutige Deutschland nicht mit dem »Nazi-Deutschland« gleichgesetzt. Junge Israelis reisen gerne nach Deutschland, nicht zuletzt aus dem Grund den familiären Spuren in Europa vor der Shoah auf den Grund zu gehen. Doch der Umgang mit der deutschen Geschichte und eben auch des Holocaust, setzt voraus, dass man weiß, dass in Deutschland von 1933 – 1945 die Nationalsozialisten zahlreiche Unterstützer in der deutschen Bevölkerung hatten, die eben auch den eliminatorischen Antisemitismus mit trugen.

 

»Bete, Jude!« – Die Geschichte von Rabbi Hagerman

  1. Stephan

Stephan

»Ich kann es nicht mehr sehen und hören. Seit Jahrzehnten werde ich mit den Taten mir völlig fremder Menschen malträtiert. Die sind damals alle diesem völlig irren Hitler nachgerannt. Ja, zum Kuckuck!!! Ich kenne keinen Deutschen, der heute vor hat , die Weltherrschaft zu erringen. Und bis auf wenige Spinner glaubt auch keiner mehr, dass die arische Rasse überlegen- wenn nicht sogar göttlichen Ursprungs ist. Und nein!!!! Wir Deutschen wollen keinen Juden töten! Nicht einen!!! Amen«

Was viele Menschen in Deutschland nicht verstehen wollen, oder vielleicht auch einfach nicht können, ist, dass es bei Geschichten aus dem Holocaust nicht um eine plumpe Schuldzuweisungen geht, oder um die abstruse Behauptung, Deutschland wolle wieder zurück zu einer Diktatur und alle Deutsche sind Täter. Doch eben genau das versuchen wutentbrannte Kommentare, wie der von Stephan, Shoah-Erinnerungen zu unterstellen.

Die Erinnerung an die Opfer und auch die Täter der Shoah sollen nicht »malträtieren«, sondern mahnen, aufklären und die Menschen für Antisemitismus und Rassismus sensibilisieren. Der Holocaust wurde Teil der jüdischen, aber auch der deutschen Identität. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob man Täter, oder auch Opfer in der Familie hatte. Die gemeinsame Geschichte verbindet, aber verpflichtet uns auch gleichzeitig. Vor allem, wo doch Menschen, wie Stephan, z.B. der Türkei und Türken oft genug vorwerfen, sie würden sich kaum bis gar nicht mit dem Völkermord an den Armeniern beschäftigen.

Zwar glaubt Stephan und man kann es nur hoffen, dass es keine Deutschen gibt, die Juden ermorden wollen, aber dabei blendet er wohl bewusst, vielleicht auch aus Selbstschutz unbewusst, deutsche Antisemiten aus.

 

  1. Dirk

Dirk 1 + 2

Dirk glaubt auch fest an weit verbreitete antisemitische Stereotypen und die sogenannte »jüdische Weltverschwörung«, die ihre »Fäden in den höchsten Kreisen von Politik und Wirtschaft ziehen«:

»Christen gegen Moslems ! Und wer ist der lachende Dritte ? 🙄🙄🙄🙄 Ich habe mich mit diesem Thema 2 Jahre beschäftigt! Ist leider so !!!! Merkel wird geführt von den Mächtigen! Und wer sind diese ? Banken !!!! Und wem gehören sie ? Genau !!!! Könntest das verstehen !!!!! 🤦‍♂️🤦‍♂️🇩🇪« 

Immer wieder findet man in den Diskussionen über die EU, die Flüchtlingskrise, deutsche Politik und der Kritik an Frau Dr. Angela Merkel antisemitische Tendenzen, Spitzen, oder gar eindeutigen Antisemitismus. Meist unterstreichen Antisemiten ihre Aussagen mit einer angeblichen »gründlichen Recherche«, so wie Dirk, der angibt, dass er sich mit diesem Thema schon ganze zwei Jahre beschäftigt hätte. Doch ernstzunehmend seriöse Quellen, oder Belege dafür, dass wirklich eine »kleine einflussreiche jüdische Clique« die Weltpolitik beeinflusst, werden nie gebracht.

In seinem Kommentar will Dirk auch bekanntes stereotypes Bild pflegen, welches Juden als »Unruhestifter« zeigen will:

»Christen gegen Moslems ! Und wer ist der lachende Dritte ? 🙄🙄🙄🙄«

Die Juden sollen als Sündenbock herhalten, die an den Konflikten, Nöten und Problemen der Welt beteiligt sind, oder sogar die Initiatoren des ganzen Schlamassels sein müssen. Eine solche Annahme verhindert, dass sich Antisemiten mit ihren eigenen und vor allem privaten Nöten objektiv auseinander setzen können. Die sogenannte Sündenbock-Theorie ist auch oft bei syrischen Flüchtlingen zu registrieren, die oft der Annahme sind, dass eben nicht das Assad-Regime, der Islamische Staat, oder Al-Nusra am Leid der syrischen Bevölkerung beteiligt sind, sondern lediglich ominöse Zionisten, die »alle gegeneinander ausspielen«. Das sind die klassischen antisemitischen Denkstrukturen, die es einer Problemlösung schwer machen.

 

3) Doris

Doris

»Ich bin 1959 geboren warum soll ich dafür geradestehen es war nicht richtig und die juden tun mir in der seele leid aber es steht auch in der biebel das der jude auf ewig das verfolgte folk sein wird und waum weil sie gottes sohn an den pfahl gebracht haben.«

Doris repräsentiert mit ihrem Kommentar den Archetypus des christlichen Antijudaismus. Anti-Jüdische Ausgrenzung und gewaltsame Pogrome erklärt sie damit, dass »die Juden Gottes Sohn an den Pfahl gebracht haben«. Damit bedient sich Doris dem mittelalterlichen Vorwurf gegenüber Juden, sie seien »Gottesmörder«. Bis heute wird vor allem in konservativen Kreisen der katholischen Kirche in der Karfreitagsliturgie die Meinung vertreten, dass Juden nicht nur den »Messias Jesus«, sondern sogar Gott getötet haben. Das 2. Vatikanum, besonders der Punkt Nostra Aetate versuchte gegen die pauschalisierte Anschuldigung vorzugehen. Dennoch bleibt der Vorwurf Juden seien »Gottesmörder« bis heute im Standardrepertoire der Antisemiten. Im Bezug auf den Holocaust versucht sich Doris mit der allgemein bekannten Ausrede »Bin nach ’45 geboren und schulde der Welt einen Scheiß«, herauszureden. Wieso sollten sich dann noch Juden, 2000 Jahre nach der Kreuzigung von Jesus, der christlichen Verleumdung aussetzen?

 

Die sechs von mir vorgestellten Facebook-Kommentare, die entweder lupenreinen Antisemitismus pflegen, oder diesen versuchen zu verharmlosen, beweisen exemplarisch, wie stark antisemitische Stereotypen und anti-jüdische Hetze in den deutschsprachigen sozialen Netzwerken verbreitet sind. Erneut wird der Antisemitismus salonfähig, vor allem das Schweigen der liberalen und freiheitlichen demokratischen Gesellschaft trägt dazu bei, dass der Judenhass nicht mehr nur in den radikalen Spektren (extremistische Linke, Rechte und Muslime) zu finden ist, sondern nun auch wieder ein Teil der deutschen Gesellschaft wurde.

3 Kommentare zu „Judenfeindschaft auf Facebook – Gelebter Antisemitismus, seine Vorurteile und die geglaubten Mythen

  1. „Die Erinnerung an die Opfer und auch die Täter der Shoah sollen nicht »malträtieren«, sondern mahnen, aufklären und die Menschen für Antisemitismus und Rassismus sensibilisieren.“

    Das ist eine gute Absicht. Bei vielen (den meisten! hoffe ich) funktioniert das ja auch, sie wurden sensibilisiert. Trotzdem gibt es einige, wie 1.Stephan in deinem Beitrag, die sich „malträtiert“ fühlen. Woran liegt das? Weshalb kommt die Erinnerungskultur bei denen als Schuldzuweisung rüber? Hier müssen wir drüber nachdenken, tiefer graben. Ist es seine eigene boshafte Fehlinterpretation, wie z.B. bei Höcke? Oder ist es eine Fehlinterpretation durch Multiplikatoren die bei ihm Schuldgefühle aufbauten z.B. Lehrer? Woher bekommt er das Gefühl des »malträtierens«?

    Es ist sehr wichtig, Erinnerungen an die Opfer würdig zu gestalten und gleichzeitig heutige Menschen nicht mit Schuldgefühlen zu befrachten. (Erinnerung an Täter soll sparsam sein, nicht ausblenden, aber auch nicht zuviel Beachtung schenken.)

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